Kleine „Schreibtherapie“ für den Alltag
„Schreiben heißt, sich selber zu lesen.“ Die Worte von Max Frisch machen deutlich, warum das Schreiben so wichtig für die seelische Gesundheit ist. Schreiben heißt nämlich nicht nur, mit Freunden zu kommunizieren oder Einkaufslisten zu verfassen. Mit Stift und Papier kannst du tatsächlich etwas für deine Gesundheit tun. Du kannst z.B. Ordnung in dein Gefühlschaos bringen, dich selbst besser kennenlernen und sogar neue Welten erschaffen.
Ich selbst schreibe viel und gerne — von Hand! Meine Schreib-Leidenschaft habe ich meiner Mutter zu verdanken. Sie schreibt Theaterstücke für Kinder. Von klein auf spielte ich ihn ihren Stücken mit und lies so ihre Visionen zur Realität werden. Während der Schulzeit schrieb ich Tagebuch, Gedichte und Geschichten. Zuerst waren Poesiealben total in. In der Pubertät schrieb ich mir dann den Teenie-Frust von der Seele. Während der Uni startete ich meinen Online-Blog, um mich mit Gleichgesinnten zu vernetzen.
Ich hatte also schon immer eine emotionale Verbindung zu geschriebenen Worten. Meine eigene Innenwelt zu Papier zu bringen, hat für mich damals wie heute eine befreiendes und heilende Wirkung.
In diesem Blogpost will ich dir zeigen, wie du deine Schreibkraft aktivierst um deine seelische zu Gesundheit verbessern. Probiere meine Schreib-Tipps aus und lass mich wissen, was dir besonders geholfen hat.
Du wünschst dir eine individuelle Schreibberatung?
Was passiert beim Schreiben
in deinem Kopf?
In diesem Blogpost geht es hauptsächlich um das freie und um das kreative Schreiben. Beide Begriffe sind nicht eindeutig definiert. Deshalb erkläre ich kurz, was ICH damit meine: Freies Schreiben ist das Gegenteil von einem Schulaufsatz. Dazu gehört alles, was du zu Papier bringen kannst — vom Einkaufszettel bis zum Tagebuch. Beim freien Schreiben gibt es eigentlich keine Regeln. Kreatives Schreiben hingegen verfolgt bestimmte Techniken, die deine Inspiration und Imagination anregen sollen.
Sowohl das freie als auch das kreative Schreiben haben Auswirkungen auf deine Umwelt und auf deine Innenwelt. Schreiben kann Blockaden lösen, deinen Fokus für das Wesentliche schärfen und dich in Kontakt mit anderen Menschen bringen. Wenn du von Hand schreibst, kannst du Informationen sogar besser verarbeiten und erinnern. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Warum ist das so? Beim Schreiben beschäftigst du dich aktiv mit DEINEN Gedanken und Gefühlen. Dein Gehirn selektiert wichtige Informationen deiner Innenwelt, fasst sie sinnvoll zusammen und trägt sie nach außen. Du bekommst also ein besseres Verständnis für dich selbst und befreist dich von emotionalem Ballast. Darauf möchte ich im nächsten Abschnitt näher eingehen.
Schreiben ist eine Bereicherung
für die Seele
Wo fange ich an? Um deine Schreibkraft zu aktivieren, empfehle ich dir, verschiedene Techniken auszuprobieren. Wie bei vielen Dingen im Leben hat jeder Mensch seine eigenen Vorlieben beim Schreiben. Der eine schreibt gerne pragmatische Listen, um den Tagesablauf zu strukturieren. Der andere liebt es, die Gedanken ungefiltert in ein Notizbuch zu kritzeln, wenn er sich inspiriert fühlt.
Hier ist ein Überblick von Schreibtechniken, die dir im Alltag helfen können. Du wirst schnell merken, welche Technik DEINER Seele guttut:
Gedanken und Gefühle aufschreiben und besser ausdrücken
Wenn du gerade mit einem Problem kämpfst, ist es wichtig, deine negativen Gedanken und Gefühle klar zu erkennen und zu definieren. Das ist gar nicht so einfach. Manchmal bist du zum Beispiel einfach schlecht gelaunt und weißt gar nicht warum? Noch schlimmer; Du kannst nicht nach außen kommunizieren, dass es dir gerade schlecht geht und du vielleicht Hilfe brauchst.
Warum kannst du deine Gefühle schriftlich besser ausdrücken,
als in einem direkten Gespräch?
Im Gespräch hast du eine geringere Distanz zu deinem Gegenüber, physisch und psychisch. Du hast beim Sprechen außerdem weniger Zeit, deine Gefühle in Worte zu fassen.
Beispiel: Dein Gesprächspartner fragt „Wie geht es dir?“ und schaut dich erwartungsvoll an. Du möchtest möglichst schnell eine Antwort geben, um die peinliche Still zu vermeiden und antwortest nervös „Mir geht’s gut“ — auch wenn das gar nicht stimmt.
Die Zunge ist eben meistens schneller als das Hirn 😉
Diesen sozialen und zeitlichen Druck hast du beim Schreiben nicht. Beim Schreiben kannst du dich von äußeren Reizen abschirmen und entspannter in dich hinein hören. Die größere Distanz beim Schreiben schafft also paradoxerweise eine größere emotionale Nähe zu deinem Ich. Das hilft dir, deine eignen Emotionen besser zu erkennen, zu definieren und zu kommunizieren.
Durch Schreiben Blockaden lösen
Manchmal blockiert dich etwas, das tief in deiner Vergangenheit liegt. Wenn du über vergangene Erfahrungen nachdenkst, holst du bestimmte Erinnerungen aktiv in das Hier und Jetzt. Du fühlst dich also in dein Vergangenheits-Ich hinein, was bei schlimmen Erfahrungen natürlich unangenehm ist. Es ist verständlich, dass du das am liebsten vermeidest. Dennoch ist es wichtig, Dinge aufzudecken, die du noch nicht verarbeitet hast, anstatt sie zu verdrängen.
Warum ist es einfacher, über schlimme Erfahrungen zu schreiben,
als über sie zu sprechen?
Beim Schreiben ist die Hemmschwelle niedriger, weil niemand direkt auf deine Story reagiert. Du wirst nicht unterbrochen, befragt oder bemitleidet. Du kannst die Gedanken einfach ungestört fließen lassen.
Schreib-Tipp: Benutze die „Stream of Consciousness“ Technik, bei der du ALLE deine Gedanken ungefiltert aufschreibst. Nimm dir ein leeres Blatt Papier und „schreibe wie du denkst“ aus der Ich-Perspektive. Bevor du über abstrakte, eventuell belastende Dinge schreibst, solltest du mit einfachen Objekten üben. Zum Beispiel: Schreibe deine Gedanken zu einem Bild auf, das in deinem Zimmer hängt.
Finde und erfinde dich neu beim Schreiben
In deinen Texten steckt immer ein Teil deiner Persönlichkeit. Zum einen ist es dein individueller Schreibstil, der dich und deine Schreibwerke einzigartig macht. Zum anderen ist es der Inhalt deines Textes, der deine Identität stärkt und weiterentwickelt. Nehmen wir mal das klassische Beispiel „Tagebuch“: Wenn du schon lange Tagebuch führst, erinnerst du dich an Dinge, die dir wichtig sind bzw. wichtig waren. Das sind Dinge, die deine Identität ausmachen. Wenn du ältere Passagen aus deinem Tagebuch liest, merkst du vielleicht sogar, wie du dich persönlich weiterentwickelt hast. Oder du merkst, dass ein Problem immer wieder aufkommt und du quasi „feststeckst“. Tagebücher sind eine tolle Möglichkeit, dich als Menschen „zu finden“.
Schreib-Tipp: Probiere beim Schreiben auch mal eine neue Identität aus. Zum Beispiel könntest du mit der „Gender-Switching“ Technik in die Rolle eines anderen Geschlechts schlüpfen und einen Text aus dieser Perspektive schreiben. Wenn du neue Identitäten annimmst, kannst du dich besser in andere Menschen hineinversetzen. Vielleicht siehst du dich dadurch selbst in einem anderen Licht?
Flüchte beim Schreiben vor dem Alltagsstress
Magst du Krimi- oder Fantasy Romane? Hier tauchst du beim Lesen in eine andere Welt ein und vergisst für eine Zeit deine eigenen Sorgen.
Das selbe passiert beim kreativen Schreiben. Du erschaffst nicht nur einen Rückzugsort für dich selbst, sondern nimmst deine Leser mit auf diese Reise.
Wenn du das Gefühl hast, nicht in diese Welt zu passen, dann liegt das vielleicht daran, dass du hier bist, um zu helfen, eine neue Welt zu erschaffen. — Bahar Yilmaz
Finde Lösungen zu Problemen beim Schreiben
Wie schon erwähnt; Schreibtechniken können dir helfen, emotionale Blockaden zu lösen un schwierige zu verarbeiten. Sie helfen dir aber auch, Probleme im Hier und Jetzt zu lösen.
Beschreibst du eine bestimmte Problemsituation bis ins kleinste Detail, setzt du dich ganz bewusst mit ihr auseinander. Du betrachtest dein Problem auf einer neutralen Ebene und aus verschiedenen Perspektiven. So findest du alternative Lösungswege, auf die du beim „Zerdenken“ niemals gekommen wärst. Am besten klappt das mit professioneller Anleitung (z.B. durch einen Psychologen).
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Bewahren & Zerstören — Werde kreativ NACH dem Schreiben
„Dream big!“, „Lebe DEIN Leben!“, „Don’t worry, be happy!“ — Motivationssprüche, Songtexte und Zitate haben ihre Berechtigung, denn sie sind eine schnelle Inspirationsquelle. Ein kleiner persönlicher Spruch oder ein Mantra ist wie ein schriftlicher Tritt in den Hintern.
Schreib-Tipp: Notiere Sprüche und Zitate, die dich motivieren auf Post-Its und klebe sie an den Badezimmerspiegel. So tust du seiner Seele jeden Tag beim Zähneputzen etwas Gutes.
Nervt dich etwas, das du aber momentan nicht ändern kannst? Anstelle sich dem Problem passiv hinzugeben, kannst du deine Texte aktiv nutzen, um dich von der Situation zu lösen.
Schreib-Tipp: Schreib dir von der Seele, was dich nervt und jage den Text anschließend durch den Schredder.
Liebes Tagebuch… Schreiben und erinnern
Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass du dir Dinge besser merkst, wenn du sie handschriftlich niederschreibst. Das gilt nicht nur für die Einkaufsliste, sondern auch für (schöne) Erinnerungen, die du in deinem Tagebuch festhältst.
Schreib-Tipp: Um das Tagebuch Schreiben zur Gewohnheit zu machen, lege das Buch auf den Nachttisch. Schreibe jeden Abend vor dem Zubettgehen ein paar Zeilen über deinen Tag. Oder schreibe morgens deine Träume auf, falls du sie erinnerst. Mit einem Traumtagebuch kannst du tatsächlich deine Merkfähigkeit für Träume trainieren.
Der Unterschied zwischen Tagebuch schreiben und Journaling
Es gibt einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Tagebuch schreiben und Journal führen. Beides bezieht sich zwar auf eine tägliche Routine (das heißt, du solltest jeden Tag den Stift zur Hand nehmen). Allerdings zielt Journaling deutlich stärker auf innenliegende Prozesse ab. In ein Journal schreibst du als regelmäßig das, was dich in deinem Herzen bewegt: deine Erkenntnisse, deine Hoffnungen und Träume, deine Gefühle und die Beweggründe, die dahinter stecken.
Ein Journal kann also noch persönlicher sein, als ein Tagebuch.
Anregungen zum Journaling gibt es übrigens hier:
5 Ideen für dein Journaling
Schreiben gegen das Chaos im Kopf
Etwas zu Papier zu bringen, bedeutet Struktur ins gedankliche Chaos zu bringen. Das kann ein klassisches Brainstorming oder eine To-Do Liste sein. Solche Listen kannst du auch für deine Gedanken und Gefühle erstellen. Wenn du etwas abstraktes (= deine Innenwelt) schwarz auf weiß vor dir hast, fällt es dir leichter, Zusammenhänge und Hindernisse in deinem Denken zu erkennen.
Schreib-Tipp: Mache eine „Problem-Liste“. Schreibe alles auf, was dich gerade belastet. Ordne dann die Probleme nach ihrer Wichtigkeit oder Dringlichkeit an. Schau, ob du die Situation an oberer Stelle überhaupt ändern kannst. Falls nicht, streiche sie von der Liste — und auch erst mal aus deinem Kopf. Bist du bei einem Hindernis angekommen, das du tatsächlich aktiv angehen kannst, konzentriere dich nur auf diesen Punkt auf der Liste. Die restlichen Probleme stellst du erst mal hinten an. So kannst du nach und nach das negative Chaos im Kopf entwirren.
Schreibe über die Guten Dinge im Leben
Bei der „Problem-Liste“ fokussierst du dich eher auf negative Aspekte. Umgekehrt kannst du dich beim Schreiben gezielt auf die schönen Dinge im Leben konzentrieren. Dadurch schärfst du deinen Sinn für die Kleinigkeiten im Alltag, die dir wirklich guttun und die du sonst vielleicht gar nicht wahrnimmst.
Schreib-Tipp: Führe ein tägliches Gratitude Journal. Schreibe am Ende des Tages alles auf, was heute Freude und Dankbarkeit in dir ausgelöst hat. Das können noch so kleine, gewöhnliche Dinge sein, z.B. schönes Wetter, eine grüne Welle beim Autofahren oder der Duft von Kaffeebohnen am Morgen (wenn du ein Kaffeeliebhaber bist, wie ich).
Verkünde deine Botschaft und finde deine Gemeinschaft
Du hast eine Botschaft und möchtest andere zum Denken anregen?Dann nutze deine Schriftstücke als Sprachrohre. Das heißt, deine Texte verlangen eine Aktion oder eine Reaktion von deinen Lesern. Dazu gehören natürlich Briefe, aber auch Werbetexte (= eine Aufforderung zum Kauf) oder Online-Foren.
Es gibt sogar Texte, die Zusammenhalt und Mitgefühl stärken. Ich muss da an Bücher wie „Oma, erzähl mal“ denken, bei denen die Großmutter Erinnerungen und Ratschläge an die jüngere Generation weitergeben.
Puh, das war ganz schön viel! Alle diese Punkte machen deutlich, dass Schreiben einiges bewirken kann. Wenn du zu Papier und Stift greifst, setzt du dich bewusst mit deiner Innenwelt — deinen Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen und Meinungen — auseinander. Du tust etwas Gutes für deine mentale Gesundheit und für den Zusammenhalt der Menschen.
Kein Wunder also, dass schreibtherapeutische Techniken auch in der Psychotherapie zum Einsatz kommen.
Schreiben als Therapie
Schreib- oder Poesietherapie gibt es schon lange. Obwohl einige Studien auf die Wirksamkeit der Schreibtechniken hinweisen, ist diese Art der Therapie in Deutschland nicht sehr verbreitet. In den USA hingegen habe ich viel über die Schreibtherapie gelernt. Da ich selbst ein Schreiberling bin, setze ich auch in meiner Beratung schreibgestützte Methoden ein, zum Beispiel in Form von Hausaufgaben.
Außerdem empfehle ich dir, wenn du (m)eine Beratung in Anspruch nimmst, ein „Beratungs-Tagebuch“ zu führen. Dort kannst du festhalten, was du in einer Sitzung gelernt hast.
Therapeutisches Schreiben in der Schule
Zum Schluss möchte ich dir von einem schreibgestützten Schulprojekt erzählen, das ich gemeinsam mit der Storytellerin Michèle Gries von Federrauschen entwickelt habe.
Unser Projekt #Demokratieschreiben soll Schüler*innen zum Denken und zum Schreiben anregen. Damit möchten wir mehr Mitgefühl bei den Schüler*innen aufbauen — sowohl für die eigene Person (Selbstliebe), als auch für andere Menschen (Empathie).
Wenn du mehr zu diesem Projekt erfahren willst, lies dir diesen Blogpost durch, den ich speziell für Lehrer und Eltern geschrieben habe.
Zum Abschluss gibt es, passend zum Thema, von mir einen inspirierenden Spruch:
„Jede Stimme zählt und jedes Wort ist machtvoll!“
Du möchtest kreativ schreiben und heilen?
Wissenschaftliche Quellen:
Blechinger, T., & Klosinski, G. (2011). Zur Bedeutung der Bibliotherapie und des expressiven Schreibens in der Kinder-und Jugendpsychiatrie. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 60(2), 109-124.
Hepburn, A. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
https://psylife.de/magazin/psychotherapie/mit-stift-und-papier-der-psychotherapie
https://redbooth.com/de/blog-de/per-hand-schreiben-und-behalten
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